Ein etwas anderer Blick auf die Stadt und ihre Besonderheiten
Soest – nicht einfach eine Kleinstadt
Schmückende Titel gibt es zuhauf: ‚Heimliche Hauptstadt Westfalens’, die ‚Ehrenreiche’, ‚Vorort der Hanse’ oder – neu – ‚Strahlender Stern aus dem Herbst des Mittelalters’ (FAZ, 2. Mai 2002). Solche Komplimente weisen schon darauf hin, dass Soest viel mehr zu bieten hat, als ein oberflächliches Kurzprofil preisgibt: 50.000 Einwohner, Kreisstadt, Verwaltung, industrieller Mittelstand, Fachhochschule, mannigfaltige Bildungseinrichtungen. Nicht schlecht, aber Ähnliches gibt es vielerorts. Das besondere Profil Soests ist damit nicht getroffen.
Soest ist keine Stadt wie jede andere. Die Soester wissen das, und die Besucher der Stadt erfahren es auf den ersten Blick. Soest verfügt über etwas, worum sich viele Städte mit großem Werbeaufwand meist vergeblich bemühen: eine unverwechselbare Identität, einen speziellen Charme, ein eigenes Gesicht.
Es ist die besondere Geschichte, der Soest seine Individualität und Unverwechselbarkeit verdankt. Wann immer Soest überregional Aufmerksamkeit erlangen kann, liegt der Anknüpfungspunkt in seiner ruhmreichen Vergangenheit oder ihren Hinterlassenschaften. Die Stadt kann auf eine herausragende Historie zurückblicken – und deren vielfältige Spuren prägen sie bis heute entscheidend.
Glanzvolle Großstadt des Mittelalters
Zwar war das heutige Stadtgebiet seit der Steinzeit ein bevorzugter Siedlungsraum, die eigentliche Stadtkarriere aber vollzog sich im Mittelalter. Begünstigt von hervorragenden Standortfaktoren und nachhaltig gefördert durch die Kölner Erzbischöfe entwickelte sich Soest zu einer der bedeutendsten Städte. Missionsstandort und kirchliches Zentrum, Salzgewinnung im großen Maßstab, Verkehrswege und Handelsverbindungen, Wasser und Boden, Schutz und Befestigung, Stadtverfassung und weit ausstrahlendes Stadtrecht – dies alles zog verschiedenste Menschen an und ermöglichte Wachstum, Differenzierung und Prosperität. Als die verschiedenen Siedlungskerne um 1180 von einer neuen, mächtigen Stadtmauer umschlossen wurden, umfasste das Stadtgebiet 102 Hektar. Nur Köln war nennenswert größer, und ab 1300 noch Augsburg, Nürnberg und Lübeck. Bis weit in den Norden und Osten Europas trieb man Handel – lange vor der Hanse und später als deren Mitbegründer. Soest war eine regional und international bedeutende Handelsmetropole und Mitglied in den großen Städtebündnissen. Nach und nach wurde ein eigenes Herrschaftsgebiet erworben – die fruchtbare Börde.
Soest war Großstadt, Handelszentrum und starke ‚Stadtrepublik’. Ökonomischer Erfolg und selbstbewusster Bürgersinn: Auf diesem Fundament entfaltete sich eine einzigartige kulturelle Blüte. Die stolzen Kaufleute und Bürger wetteiferten geradezu bei Bau und Ausstattung ihrer neuen Kirchen. Man muss sich die Leistung vor Augen führen, die eine Bürgergemeinde erbringt, wenn sie um das Jahr 1200 gleich fünf (!) großartige Kirchen zeitgleich baut, von den Kapellen zu schweigen. Und nur gut 100 Jahre später entstehen drei weitere große Sakralbauten. Alle wurden ausgestattet und ausgeschmückt von großen Meistern und führenden Künstlern aus nah und fern. Altäre und Gemälde, Skulpturen und Tympana, Glasmalereien und liturgisches Gerät – kostbare Schätze, die dem Seelenheil ebenso wie der bürgerlichen Selbstdarstellung dienten. Es muss für den Reisenden ein ungeheurer Anblick gewesen sein, sich in einer nicht von Städten geprägten Welt einer solchen Stadtsilhouette zu nähern, umgeben von einer gewaltigen Befestigungsmauer mit 10 Toren und fast 30 Türmen.
Dem städtischen Wachstum folgte eine in der Dichte für die Region völlig neue Klosterlandschaft, in deren Schreibwerkstätten wertvolle Bücher entstanden. Die stolze Bürgergemeinde erbaute Wohnhäuser, Straßen und öffentliche Gebäude, schuf sich eine anspruchsvolle Wohnkultur, verewigte sich in Urkunden und Schriftgut. Alles, was man mit dem Glanz der mittelalterlichen Welt verbindet, konnte man in Soest finden. Erst in der Neuzeit führten politische Ereignisse und mehr noch strukturelle Veränderungen zum Verlust der großstädtischen Stellung – erst kaum merklich, dann schneller. Geblieben ist die heutige Kleinstadt – aber mit dem reichen kulturellen Erbe einer glänzenden Großstadt.
Stadtbild und Baukunst
Vielleicht ist auch heute noch die Stadtsilhouette das Augenfälligste: Eine überschaubare Stadt mit einer Fülle von Türmen, die weit ins Umland zu sehen sind, und dann noch mit der besonderen Aura des grünen Sandsteins – das gibt es kein zweites Mal. Wer sich Soest von der Haar oder auch von Weslarn oder vom Westen her nähert, kann sich diesem Eindruck nicht entziehen. Ist man in Soest, erkennt jeder sofort, dass er sich in einer besonderen Stadt befindet. Das Stadtbild sucht seinesgleichen: Großartige Kirchen, die imposante Stadtbefestigung, vielfältige bürgerliche Gebäude, aber auch der weitgehend erhaltene mittelalterliche Stadtgrundriss stehen uns als Zeugnisse der Vergangenheit unmittelbar vor Augen. Es sind nicht allein die berühmten Großdenkmäler, die den Gesamteindruck prägen: Enge, krumme Gässchen, Fachwerkhäuser und Grünsandsteinmauern, kleine Plätze, ruhige Winkel und die zahlreichen Gärten tragen zum speziellen Charme und mittelalterlich-urbanen Flair der Stadt entscheidend bei. Weder die Industrialisierung und „Urbanisierung“ des 19. und frühen 20. Jahrhunderts noch die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs konnten das Stadtbild zerstören. Geschichts- und denkmalbewusster Wiederaufbau und der – weitgehend – schonende Um-gang mit dem Abrissbagger haben die bauliche Substanz bis heute bewahrt.
Acht Kirchen entstanden im Mittelalter, sieben davon stehen noch heute. Alle sind bemerkens- und besuchenswert – einige sogar berühmt. So ist die Stiftskirche St. Patrokli immer wieder geradezu zum Sinnbild des Westfalen selbst und ihr mächtiger Turm zum „Turm Westfalens“ erhoben worden. Der „schlechtweg unvergleichliche Bau“ (Theodor Heuss) zählt zu den bedeutendsten romanischen Bauten Norddeutschlands. Mit der benachbarten Petrikirche bildet er ein herausragendes Ensemble. Die Spannweite der mittelalterlichen sakralen Baukunst in Soest erfährt man unmittelbar an den beiden benachbarten Marienkirchen: Hier die geschlossen gotische, hochstrebende und lichtdurchflutete, überwältigende „Maria zur Wiese“, eine der schönsten gotischen Kirchen Deutschlands – dort die kleine, asymmetrische, suggestiv ausgemalte „Maria zur Höhe“ – eine Perle romanischer Baukunst und eine der Hauptattraktionen Soests. Und in keiner noch so unvollständigen Aufzählung darf die so schlichte wie harmonische romanische Nikolai-Kapelle fehlen.
Mittelalterliche Fachwerkgebäude, schmucke Bürgerhäuser, Barock, Klassizismus und Gründerzeit – die Wohngebäude in der Altstadt sind vielfältig und bilden doch ein gewachsenes Ganzes, in das sich auch noch die Bruno-Paul-Villen des 20. Jahrhunderts nahtlos einfügen. Eigens genannt werden muss der Burghof: Das Ensemble vereinigt das „Romanische Haus“, das älteste profane Wohngebäude Westfalens, und das prächtige Herrenhaus im Stil der Spätgotik oder noch mehr Frührenaissance. Der Rittersaal mit seinen wertvollen Stuckreliefs gilt als die „gute Stube der Stadt“.
Noch immer ist die Altstadt umschlossen von ihrer alten Stadtmauer, wenigstens weitgehend. Sie ermöglicht auf dem Mauerkamm oder wahlweise in der Gräfte eine Promenade, wie man sie kaum anderswo erleben kann. Dass die Erhaltung nicht nur der Mauer, sondern des alten Stadtgrundrisses verkehrstechnische Probleme und Rätsel bei der Orientierung aufgibt, wird niemand bestreiten. Sie sichern aber den Erhalt des Zusammenhanges des Stadtbildes und bewahren der Stadt ihre besondere Maßstabsgerechtigkeit – und damit ihr Gesamtbild. Darin besteht das ganz Besondere der Stadt: Dass die Denkmäler nicht als isolierten Schaustücke dastehen, sondern Teil einer organisch gewachsenen Stadtstruktur sind. Die Stadt bildet ein Ganzes, und in diesem Sinne erhält der Ausdruck „Stadtbild“ eine höhere Bedeutung. Das ist eine der Säulen des spezifischen Soestgefühls. In einer solchen Nicht-Museums-Stadt kann man leben. Die Baudenkmäler umgeben uns nicht nur, sondern werden aktiv ins Leben einbezogen und nach unseren Bedürfnissen genutzt. Die Kirchen sind keine Museen, sondern gehören in ihrer gottesdienstlichen Funktion – und als Veranstaltungsorte – zur Alltags- und Lebenswelt. Auch das historische Rathaus wird entsprechend seiner ursprünglichen Funktion genutzt. Andere Bauwerke haben ihren Zweck vollständig geändert. So nutzen wir heute die historische Stadtmauer als Promenade oder das barocke Patrizierwohnhaus „Zum Spiegel“ als Stadtarchiv. So geht es mit den über 600 Baudenkmälern und der historischen Bausubstanz und Stadtanlage insgesamt – sie sind ganz selbstverständliche Elemente unserer Lebenswelt.
Bildende Kunst, Schrift- und Alltagskultur
Die mittelalterliche Blütezeit hat Soest zu einer Kunststadt gemacht. Das gilt vor allem für die sakrale Kunst. Ebenso wenig wie die Qualität und der Reichtum der Kirchenbauten kann hier nur ansatzweise ihre Ausstattung gewürdigt werden. Auch wenn Manches nicht mehr in Soest zu finden ist – das Vorhandene ist außerordentlich. So bleibt nur eine Auswahl: Die romanische Glaskunst im Patrokli-Münster, teils noch am ursprünglichen Platz, teils im Dommuseum zum Greifen nah präsentiert, weist europäischen Rang auf. Man muss weit und sicher außerhalb Deutschlands reisen, um Vergleichbares zu sehen. Ergänzt wird dieser herausragende Bestand durch Glasfenster der Paulikirche – immerhin die ersten rein gotischen in ganz Westfalen. Das strahlende monomentale Scheibenkreuz in der Hohnekirche aus dem 13. Jahrhundert ist in Deutschland einzigartig. Die Ausmalung dieser Kirche, ihrer Wände und Gewölbe, ist von außergewöhnlicher Qualität und gestattet einen tiefen Einblick, wie eine romanische Kirche ursprünglich ausgesehen hat. Ein noch ältere Ausmalung schmückt die Nordapsis in St. Patrokli. Und die Altäre: In der Wiesenkirche der Jakobialtar aus der Schule Conrads von Soest, der „Annenaltar“ und Heinrich Aldegrevers Marienaltar; der Kleppingaltar in der Petrikirche, das Altarbild des Meisters von Liesborn in der Hohnekirche, das Nikolausaltarbild in der St. Nikolai-Kapelle… Und dort die Wandmalereien – und die Steinskulpturen der Wiesenkirche, die Tympana an der Hohne- und der Petrikirche… Großen Rang besitzt auch das Werk des Kupferstechers Aldegrever, der fast sein ganzes Künstlerleben in Soest verbrachte – es ist im städtischen Kunstbesitz bestens dokumentiert.
Aber auch hier gilt: Nicht das einzelne Werk allein zählt, und sei es noch so herausragend. Alles fügt sich zum Gesamtbild der heutigen Stadt. Und so ist Soest auch in der Moderne Kunststadt geblieben: Gerade die mittelalterliche Urbanität ließ Soest im 20. Jahrhundert zu einem Zentrum für Künstler und namentlich Maler werden. Wilhelm Morgner und Otto Modersohn waren Soester, die Brüder Eberhart und Fritz Viegener reisten zu, Emil Nolde, Carl Schmidt-Rottluff und Christian Rohlffs nahmen längeren Aufenthalt. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg blieb diese Tradition, von der Stadt kräftig gefördert, erhalten – Namen wie Hans Kaiser, Hugo Kükelhaus, Max Schulze-Sölde, Paul Werth stehen für viele andere. Dass sie alle immer wieder Soest malten, bezeugt die besondere Anziehungskraft der Stadt auf diese bedeutenden Künstler, deren Werk den Kunstbesitz im „Morgner-Haus“ zu einer glänzenden Sammlung macht.
Die Reichhaltigkeit der Soester Geschichte ist eine Fundgrube für Archäologen. In Soest gibt es eine lange Grabungstradition, und die bemerkenswerten Funde könnten leicht ein großes Museum füllen. Wenn man mit offenen Augen durch historische und archäologische Museen der Region wandelt, findet man keinen Ortsnamen häufiger als Soest. Bei uns finden diese und viele weitere Zeugnisse der Stadtgeschichte im Burghofmuseum ihren Platz.
Erstrangig sind die Überlieferungen der Schriftkultur im Soester Stadtarchiv. Es gibt in Westfalen kein vergleichbares Archiv für das Mittelalter. Viele Stücke sind weit über die Grenzen Westfalens hinaus bekannt, manche sogar berühmt. Die alte und die neue Kuhhaut sind Ikonen der Stadtgeschichtsforschung. Kaum ein Bildband über das Mittelalter – und schon gar nicht über das Gerichtswesen – verzichtet auf die einzigartigen Buchmalereien des Nequambuchs. Aber nicht nur die spektakulären Einzelstücke, sondern die Dichte und Qualität der Überlieferung insgesamt macht das Stadtarchiv zu einem Anziehungspunkt der Forschung. Archiv und Archäologie gelingt es immer wieder, Soest auf der Landkarte wissenschaftlicher Einrichtungen zu platzieren.
Arbeiten an der Geschichte und Kultur – für Gegenwart und Zukunft
So eindrucksvoll und suggestiv sich das historische Erbe präsentiert – es erschließt sich nicht von selbst. Forschung und Vermittlung sind notwendige Voraussetzung zum Verständnis. Zudem gilt: Das, was wir ohne unser Zutun den Leistungen unserer Vorgänger verdanken, müssen wir erhalten und weitergeben.
Die Bewahrung und Aufarbeitung des Erbes und damit der kulturellen Identität der Stadt erfordern wissenschaftliche und fachliche Anstrengungen, die in Soest auf hohem Niveau geleistet werden. In enger Zusammenarbeit widmen sich besondere Einrichtungen mit überregionalem Renommee der „Arbeit an der Geschichte“. So ist das Stadtarchiv nicht allein ein Ort der Verwahrung bedeutender Schätze, sondern zugleich ein angesehenes Haus der historischen Forschung und Vermittlung – und nicht zuletzt eine Anlaufstelle für historisch Interessierte von nah und fern. Die Stadtarchäologie ergänzt dies durch Informationen über Vieles, was man nicht in schriftlichen Quellen findet, vor allem über das alltägliche Leben der Menschen. Auch sie hat sich einen Ruf als wissenschaftliche Einrichtung erworben. Die städtische Denkmalpflege trägt maßgeblich zur zugleich erhaltenden und zukunftsorientierten Stadtentwicklung bei. Durch ihre Arbeit konnten nicht nur zahlreiche Baudenkmäler, sondern die Altstadt als Ganzes, als „Denkmalbereich“, geschützt werden. Wie viel Aufwand die Erhaltung unersetzlicher Kulturgüter fordert, ist in Soest nirgends besser sichtbar als an der Arbeit der Wiesenkirche-Bauhütte.
Aber nicht nur die Profis leisten Geschichts-Kultur-Arbeit. Es gibt ein Fundament von Interesse der Bürgerinnen und Bürger an der Stadt – in einem sicher ungewöhnlichen und gelegentlich auch unbequemen Umfang. Die Institutionen und Projekte, aber auch insgesamt der Prozess der Stadtentwicklung werden öffentlich kritisch begleitet und immer wieder am hohen Maßstab des Soester Profils gemessen. Viele organisieren sich in den zahlreichen kulturtragenden Vereinen. Der 125 Jahre alte, mitgliederstarke Geschichtsverein kann auf bedeutende Leistungen für Stadt und Stadtkultur zurückblicken. In jüngster Zeit hat sich der Kunstverein vor allem um das Kunstmuseum „Morgnerhaus“ verdient gemacht. Viele weitere Vereine und zahlreiche Nichtorganisierte sind ebenfalls stark am Kulturleben beteiligt. In Soest herrscht ein ausgeprägtes Bewusstsein für Stadtkultur und das historische Erbe, wie man es in anderen Städten kaum findet. Kurz: Die Soester sind stolz auf ihre Stadtkultur. Das passiert aber nicht einfach so – das muss gepflegt werden.
Historisches Erbe und städtische Lebenswelt
Ich komme zum Kern der besonderen Soester Qualität. Natürlich sind die reiche Historie und ihre Hinterlassenschaften die Voraussetzung von allem, sie bilden die tragende Säule. Es handelt sich dabei nicht einfach um tote Relikte, die fremd in unsere Gegenwart hineinragen. Die vielfältigen Zeugnisse gehören zu unserer Lebenswelt, sie prägen den Charakter der Menschen, die mit ihnen leben. Jeder versucht, seine nahe Umwelt ästhetisch zu gestalten, und sei es nur das Wohnzimmer oder der Arbeitsplatz. Was für eine Freude, in einer so schönen und anregenden Umgebung wie Soest zu leben, mit den ständigen Eindrücken, die eine solche Stadtkultur bei uns hinterlässt. Deshalb haben sich hier bis heute Traditionen von Kunst- und Kultursinn oder einfach von Freude an der spezifischen, den menschlichen Maßstab wahrenden Urbanität erhalten. Es gibt sie, die Soester Mentalität, die zur Soester Stadtgesellschaft und zum „Soester“ gehört – nicht von allein, sondern als Ergebnis ständiger Auseinandersetzung und Aneignung.
Diese Lebendigkeit des Erbes als weitere tragende Komponente des Soestgefühls lässt sich anschaulich auf der Allerheiligenkirmes erfahren. Ein rauschendes Fest mit Hunderttausenden von Feiernden, Soestern, Ex- und Nicht-Soestern, mit den modernsten Fahrgeschäften – und doch fast 700 Jahre alt. Eine große Tradition, die ständig mit neuem Leben gefüllt wird, und eben kein beliebiges, aus dem Boden gestampftes Kunstprodukt. Nur so funktioniert ihre riesige Akzeptanz und Popularität. Wenn dann die futuristischen Karussells vor dem romanischen Patroklimünster kreisen oder man mitten im Trubel sein „Bullenauge“ gegenüber dem Portal der Wiesenkirche konsumiert, merkt wohl jeder: Das kann man nicht erfinden, und: Das gibt es nur hier.
Schließlich ein Drittes: Soest ist weit mehr ist als die Summe der einzelnen Bau- und Kunst-werke, Urkunden und Ereignisse, Menschen und Mentalitäten. Alles fügt sich zu einem Gesamtbild, zu einer gewachsenen Struktur. Seien die Wiesenkirche und Patrokli, Aldegrever und Morgner, Nequambuch und Kuhhaut noch so berühmt: Die Einzigartigkeit der Stadt entsteht in dem Zusammenspiel der Komponenten und ihrer Belebung durch uns heute. Das ist Stadtkultur und Kulturstadt mit höchster urbaner Lebensqualität und einer ganz eigenen, einzigartigen und unverwechselbaren Identität. Die Stadt ist ein Ganzes geblieben. Soest ist keine historische Kulisse, es besteht nicht aus vielen schönen Einzeldingen, sondern bildet ein integriertes und lebendiges Gesamtkunstwerk. Beeindruckend und attraktiv für Besucher, verbindend und Gemeinschaft stiftend für die Soester – in diesem Sinne ist das „Gesamtkunstwerk Soest“ einzigartig.