Textproben

Textproben aus der letzten Soester Zeitschrift 133 (2021)

Julia Ricken

Noch mehr Götter in Soest


Durch lizensierte Sondengänger kommen immer mehr Einzel- bzw. Lesefunde in das Inventar der Stadtarchäologie Soest. So wurde auch 2020 eine Statuette aus Buntmetall von einem Feld westlich der Soester Innenstadt gemeldet. Schnell war deutlich, dass es sich dabei um einen römisch-kaiserzeitlichen Fund von vorzüglicher Erhaltung handelt. Die 8,6 cm große und 86 g schwere Statuette zeigt einen bärtigen Mann mit Tunica, Armschiene am rechten Arm, Beinschienen, Gambeson, Muskelpanzer und pseudokorinthischem Helm bekleidet. Die Statuette hat eine grünliche Patina und ist komplett erhalten, einzig am Ende der rechten Hand könnte ein Stück fehlen. Die Figur zeigt das Kontrapostschema, hat das rechte Spielbein leicht angewinkelt und verlagert das Gewicht auf das linke Standbein. Der linke Arm ist erhoben, der rechte gesenkt. Besonders bemerkenswert ist die feine Darstellung der Haare und des Federbusches am Helm, auf welchem auch zwei Augen hervorragend zu sehen sind. Deutlich sind nachträgliche Bearbeitungsspuren erkennbar, die beispielsweise den Helm, den Waffenrock und die Tunica stärker definieren. Der rechte Arm endet relativ unklar unter der Armschiene, ohne dass eine Hand eindeutig zu erkennen wäre. Allerdings befindet sich in dem Ende eine Art Verbindungsmasse von anderem Material, was darauf hindeuten könnte, dass hier direkt der Schild angebracht war und die Armschiene zur Stabilität die Hand verstärkte, wodurch das scheinbar ungenaue Ende entstanden ist. Die andere Hand greift mit vier angedeuteten Fingern und einem Daumen ehemals einen runden Stab bzw. eine Lanze. Beide Attribute – der Schild und die Lanze – sind bei den Statuettenfunden häufig nicht mehr vorhanden, da sie wohl separat gefertigt wurden. Es handelt sich hierbei um eine sogenannte Lararie, eine kleine Götterstatuette, die ursprünglich der Aufstellung in einem privaten oder öffentlichen Altar innerhalb des römischen Kultes diente.

Der Fundort liegt etwa einen Kilometer südwestlich des bekannten Soester Siedlungsplatzes Ardey/Am Rüenstert/Brinkenkamp . Dort ist vor allem die Bleiverarbeitung im ersten Jahrhundert nach Christi in diesem Zusammenhang bemerkenswert. An dieser Produktionsstätte ließen sich zahlreiche Bleimodel und -modelle nachweisen, die zur Herstellung von Buntmetallobjekten dienten. Außerdem befindet sich das Feld, auf dem die Statuette gefunden wurde, nur wenige hundert Meter entfernt vom Hellweg, der wichtigsten Ost-West-Verbindung, die sicherlich auch schon wesentlich früher als zu ihrer ersten Erwähnung im 8. Jahrhundert als Handelsroute diente. Zusammen mit der Statuette wurden auch hier auf demselben Feld weitere Funde aus der römischen Kaiserzeit gemeldet. Eine Röntgenfluoreszenzanalyse durch den LWL Münster ergab, dass sie aus einer sehr bleihaltigen Blei-Zinnbronze hergestellt ist.

Mit der Darstellung eines bärtigen und vollbekleideten Mannes stellt die Statuette den Typus Mars Ultor dar, welcher sein Vorbild im 2 Jahrhundert v. Chr. von Augustus geweihtem Tempel im Forum von Rom hat. Der Herstellungsort solcher Statuetten ist meist schwierig zu verorten, da sie weit transportiert werden konnten – ob nun als Handels- oder Beutegut[ Außerdem konnten sie leicht abgeformt und nachgeahmt werden.

Bei dem Soester Fundstück handelt es sich auf jeden Fall um eine Seltenheit im hiesigen Stadtgebiet und auch in der Region. Durch den eher ungewöhnlichen Typus und den sehr guten Erhaltungszustand kann man der Fundgruppe der Götterstatuetten, die mit ihren etwa 40 Belegen zwischen Rhein und Weser zwar nicht häufig sind, aber eine bekannte Fundgruppe darstellen, ein weiteres Objekt hinzufügen. Die detailreiche Arbeit der Figurine steht im Gegensatz zu den sonst regional gängigeren eher schlicht gestalteten Mars-Statuetten, die sich wohl als Massenprodukt verbreitet haben. Ein direkter Vergleich zu unserer Statuette fehlt regional bislang. Vom Typen her vergleichbare Figurinen stammen beispielsweise aus Augst/Schweiz, Riehen/Schweiz und aus Trier.

Nach dem Fund der Statuette überraschte es umso mehr, als kurze Zeit später ein ehrenamtlicher Mitarbeiter einen Statuettenkopf aus dem Soester Norden meldete. Der Kopf ist im Vergleich zu dem der oben genannten Statuette aus dem westlichen Stadtgebiet mit 3,6 cm und 51 g relativ groß und schwer und besteht laut Röntgenfluoreszenzanalyse aus einer Zinn-Blei-Legierung.

Besonders bemerkenswert ist die eiserne Steckverbindung, die sich, stark korrodiert, noch im Hals befindet. Der Kopf ist bartlos, unter dem pseudokorinthischen Helm quellen lockige Haare hervor. Auf dem Helm sitzt dezentral – was auf eine ungenaue Arbeit hinweist – ein Federbusch. Im Areal, wo der Fund erfolgte, konnten in den letzten Jahren mehrere Prospektionsschnitte im Vorfeld der Entstehung eines Baugebietes gemacht werden. Bei den Untersuchungen wurden neben Befunden unterschiedlicher Zeitstellung auch solche aus der Kaiserzeit identifiziert. Vorab wurde das Gebiet von Sondengängern belaufen, die jedes Mal Unmengen an Blei registrierten und meldeten. Insgesamt kamen bislang über 100 kg Blei aus dem Soester Norden zutage. Dies führte letztendlich sogar zu einer kleinräumigen Grabung, bei der eine insgesamt 47,6 kg schwere Bleiplatte gefunden wurde, die Abdrücke von dem Boden aufweist, sodass hier von einem Fehlguss oder -versuch ausgegangen werden kann, bei dem man das Blei auf der Erde beließ. Warum es nicht wiederverwendet wurde, bleibt ohne Antwort. Durch Beifunde und eine 14-C-Analyse vom Grubenhaus unter der Bleiplatte ist es sicher, dass es sich um kaiserzeitliches Blei handelt, man also neben Ardey/Am Rüenstert/Brinkenkamp wahrscheinlich einen weiteren kaiserzeitlichen bleiverarbeitenden Standort in Soest hat. In den letzten Jahren kamen im Norden zahlreiche weitere Kleinfunde heraus, die ebenfalls darauf hindeuten. Neben kiloweise Werk- und Gussresten fanden sich unter anderem ein kleiner Barren (30 g), Schwunggewichte, Gusstrichter und „knopfähnliche“ Objekte. Und auch der Kopf, bei dem es sich vielleicht um ein Model einer Statuette handelt, würde in diesen Fundkontext passen. Aufgrund der silbernen Optik durch die Zinnlegierung wäre vorstellbar, dass es sich um ein Endprodukt handelt; wahrscheinlich sollte die Statuette silbern und dadurch qualitätsvoller erscheinen, als sie vom Materialwert her tatsächlich war. Die eiserne Steckverbindung könnte jedoch darauf hindeuten, dass es sich um einen Kopf handelt, der getrennt vom Körper für verschiedene Torsi hergestellt wurde. Trotzdem wäre es denkbar, dass dieses Stück im Zuge des Recyclings dort gelagert wurde.



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Franz Peters

Die Auseinandersetzung zwischen Anna Lixenfeld, Lehrerin der Pestalozzischule Soest, mit Schulleiter Otto Hesse 1934-1941

Bei den Vorbereitungen zum 100-jährigen Schuljubiläums im Jahr 2008 stieß ich in Chroniken, alten Protokollen und Schriften aus der Schulgeschichte auf Anna Lixenfeld. Sie war vom 15. August 1921 bis 31. März 1957 als katholische Lehrerin, Hauptlehrerin und Rektorin an der Soester Pestalozzischule tätig und wohl die Kollegin mit der längsten Dienstzeit an dieser Schule. Von besonderem Interesse war für mich die Auseinandersetzung zwischen dem Schulleiter Otto Hesse, einem überzeugten Rassisten und Nationalsozialisten, und Anna Lixenfeld in ihrer klaren Haltung, dienstliche Anordnungen zur Erfassung „erbbiologischer Daten“ ihrer Schüler und Schülerinnen nicht zu befolgen. Die Bedeutung ihres Widerstandes, die gezeigte Courage wird erst deutlich, wenn man die Situation der Hilfsschule im Dritten Reich kennt und die konkrete Situation der Soester Hilfsschule beschreibt. Deshalb werde ich im Verlauf meines Textes neben der Skizzierung der agierenden Personen die Schulentwicklung vor 1933, die Funktion der „Sonderschule“ im Nationalsozialismus, die Situation der Soester Hilfsschule und die dienstliche Auseinandersetzung zwischen Hauptlehrer Hesse und Frau Lixenfeld darstellen.

1. Anna Lixenfeld – beruflicher Werdegang bis 1934

Anna Lixenfeld wurde am 22. Januar 1892 als zweites von fünf Kindern in Dillenburg geboren und wuchs in einer streng katholischen Familie auf. Von 1913 bis 1915 besuchte sie das Lehrerseminar in Arnsberg, um dann in der Zeit vom 24. April 1919 bis 31. März 1921 ebenfalls in Arnsberg die Präparanden-Vorbereitung für das Lehramt zu durchlaufen. Am 15. August 1921 nahm sie eine Stelle an der Soester Hilfsschule an und legte dann nach Absolvierung des Vorbereitungskurses für Hilfsschullehrer/innen am 20. Oktober 1922 in Dortmund ihre Prüfung als Hilfsschullehrerin mit genügendem Erfolg ab.

Mit Wirkung vom 1. Juni 1923 wurde ihr die planmäßige katholische Hilfsschul- lehrerstelle der Soester Hilfsschule zugewiesen. Vom Amtsarzt erhielt sie am 30. Juni 1922 die gesundheitliche Eignung für den Lehrberuf bestätigt, erkrankte aber schon wenige Jahre später an aktiver Tuberkulose, die dann in einer Kur behandelt wurde. Vor allem eine Herzmuskelerkrankung zwang sie im Lauf ihrer Berufstätigkeit immer wieder, ihren Schuldienst zu unterbrechen.

Als gläubige Katholikin erteilte sie selbstverständlich katholischen Religionsunterricht an der Schule und nahm aktiv am Leben der Soester Patrokli-Gemeinde teil.

Im „deutschen Hilfsschullehrerverband“ war sie Mitglied. Als dieser nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in den Fachbereich V des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) eingegliedert wurde, blieb sie im Verband. Nach nun geltendem Dienstrecht gab sie am 04. Juli 1933 ihre Erklärung zur arischen Abstammung ab und legte am 13. August 1934 den Diensteid auf den Führer Adolf Hitler ab.

2. Otto Hesse

Otto Hesse wurde am 1. Juli 1895 in Marienborn im Kreis Siegen geboren und war römisch-katholischen Bekenntnisses. In Olpe besuchte er von 1913 bis 1915 das Lehrerseminar, war dann Kriegsteilnehmer in Frankreich. Am 8. März 1920 legte er in Olpe die 1. Lehrerprüfung ab, um dann vom 1. Oktober 1921 bis zum 1. April 1932 an der Hilfsschule in Dortmund-Mengede als Hilfsschullehrer tätig zu sein.

Wie Anna Lixenfeld legte er am 20. Oktober 1922 in Dortmund seine Hilfsschullehrer- prüfung ab.

Bereits ab 1926 widmete Hesse sich seinem Spezialinteresse der „Zigeunerforschung“, am 5. Mai 1933 trat er in die NSDAP ein.

Vom 1. April 1932 bis zum 1. April 1936 war er als Hauptlehrer einer einklassigen Hilfsschule in Siegen tätig. Am 1. Juni 1933 trat er dem Nationalsozialistischen Lehrer-Bund (NSLB) bei und war dort Mitglied bis Oktober 1942. Aus der katholischen Kirche trat er im November 1937 aus.

3. Die Soester Hilfsschule von 1908 – 1933

Am 13. Juli 1908 wurden nach dreijähriger Vorbereitungszeit zum ersten Mal „hilfsschulbedürftige Kinder“ in einer eigens für sie eingerichteten Klasse unterrichtet. Die Soester Hilfsschule war „geboren“ und ist somit einer der ersten Gründungen dieser Schulform im ländlich geprägten Raum Westfalens.

Die Schulaufsicht zur Zeit der Schulgründungen war konfessionell ausgerichtet. Es gab evangelische, katholische und israelitische Schulvorstände. In Soest wurde nach 1905 klar, dass für eine „rein“ konfessionelle Hilfsschule die Schülerzahlen nicht reichten. So entschieden sich der evangelische und katholische Schulvorstand zu einer paritätischen Hilfsschule, nachdem der ebenfalls angefragte israelitische Schulvorstand sich nicht an der Einrichtung bzw. Erhaltung der Soester Hilfsschule beteiligen wollte[2].

Das sehr kleine Kollegium setzte sich aus evangelischen und katholischen Christen zusammen, die sich in ihren Kirchen und Verbänden engagierten. So war Hauptlehrer Karl Pertz „viele Jahre Chorleiter des Ev. Sängerbundes für ganz Deutschland“. Im April 1911 kam als zweiter Lehrer Peter Ostermann an die Soester Hilfsschule und war dann bis zu seiner durch Krankheit bedingten frühen Pensionierung bis zum Ende 1936 im Dienst. Wie Karl Pertz war auch Lehrer Ostermann evangelischer Christ, sehr musikalisch und in Soest als Chorleiter tätig. Frau Lixenfeld trat dann ab 1921 als drittes Mitglied in das kleine Kollegium ein. Ihre musischen Schwerpunkte waren das Zeichnen und Gestalten im Kunstunterricht. Man kam gut miteinander aus und respektierte sich.

Auf Antrag von Rektor Pertz vom 19. Mai 1928 entschied der Soester Magistrat am 7. August 1928 die städtische Hilfsschule in „Pestalozzischule“ umzubenennen, im Vorjahr 1927 hatte sich der Todestag des großen Pädagogen zum 100. Mal gejährt.

Ein Erlass der Bezirksregierung Arnsberg vom 16. Juni 1928 machte klar, welche Kinder zur Aufnahme in die Hilfsschule zu melden seien:

„1. Kinder, die zwei Jahre ohne Erfolg am Unterricht des ersten Jahrgangs teilgenommen haben, falls sie nicht längere Zeit wegen Krankheit gefehlt haben;

2. Kinder, die nach einjährigem erfolglosen Besuch der untersten Klasse der Normalschule zweifellos als schwachsinnig erkannt werden;

3. Kinder, bei denen schon beim Eintritt in das schulpflichtige Alter Schwachsinn offenkundig festzustellen ist.

Die Überweisung von Kindern aus einer höheren Grundschulklasse zur Hilfsschule darf nur ausnahmsweise erfolgen“.

Ziel der Hilfsschule war es, schulleistungsschwache Schülerinnen und Schüler so zu fördern, dass sie ein selbstständiges Leben in der Gesellschaft führen konnten.

Ein Bericht der Gladbecker Zeitung vom 25. Mai 1928 fasst die Aufgaben der Hilfsschule anlässlich der 35. Hauptversammlung des Verbandes der „Hilfsschulen“ Westfalens in Gladbeck auf einer Sonderseite wie folgt zusammen:

„Die Hilfsschule gilt als eine selbständige öffentliche Schulanstalt zur Erfüllung der gesetzlichen Schulpflicht für schwachbegabte Kinder. Sie verfolgt im allgemeinen dieselben Aufgaben und Ziele wie die Volksschule, allerdings unter Berücksichtigung der Besonderheiten, die durch die Eigenart ihres Schülermaterials bedingt werden. Sie erblickt ihren Zweck darin, die schwachbegabten Schüler zu brauchbaren Menschen heranzubilden, insbesondere ihr schwaches, manchmal gänzlich darniederliegendes Selbstvertrauen zu heben, sie an Arbeit, Fleiß, Ordnung, Sparsamkeit usw. zu gewöhnen, sie nach Möglichkeit auf das praktische Leben vorzubereiten und damit ihre Erwerbsfähigkeit in die Wege zu leiten.“

Die Literatur zur Geschichte der Heil- bzw. Sonderpädagogik geht davon aus, dass der Zeitraum von den frühen 1920er-Jahren bis Anfang der 1930er-Jahre als „Blütezeit“ der Heilpädagogik angesehen werden kann. „Sogar schwer schwachsinnige Kinder fanden in sog. Sammelklassen einen Ort in Schulen, diese waren den Hilfsschulen angegliedert.“



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