Im
März 2007 erreichte den Verein für Geschichte und Heimatpflege
Soest e. V. eine Offerte aus Bayern: Man bot ein Ensemble von 13
Möbel-Unikaten aus der Zeit des Art déco an. Die Stücke gehörten
ehemals zu der ganzheitlichen Gestaltung der 1926 erbauten „Villa
Plange“, dem heutigen Kreisarchiv am Sigefridwall 20. Sowohl die
Baukonzeption als auch das Interieur der Villa entstammen Entwürfen
von Bruno Paul, einem der seinerzeit gefragtesten Designer,
Innenausstatter und Architekten Deutschlands. Bei einem Ankauf
konnten sie wieder in der Villa Aufstellung finden, für die sie
geschaffen waren und die Kunstlandschaft der Stadt Soest um eine
moderne Komponente bereichern.
Bruno
Paul (1874-1968) in Soest
Hanna
Plange, die Ehefrau des Bauherrn, lernte durch ein Kunststudium dasŒuvre Bruno Pauls kennen, was dazu führte, dass er zwischen
1926 und 1931 neben Arbeiten in Köln und Berlin die meisten seiner
Bauvorhaben dieser Zeit in Soest realisierte: drei großbürgerliche
Villen und den Neubau des Archi-Ruderheimes, dazu einen privaten
Umbau und den des Saales der Gesellschaft Ressource.
Der
vielseitige Architekt wurde 1874 in der Lausitz geboren. Nach
kunstgewerblicher und handwerklicher Ausbildung in Dresden und
München wurde er Illustrator des „Simplicissimus“, für den auch
Frank Wedekind, Hermann Hesse und andere prominente Autoren
arbeiteten. Bald darauf machte Bruno Paul als Möbeldesigner von sich
reden. Auf der Weltausstellung in Paris errang er drei Goldmedaillen,
und 1904 brachte ihm der Entwurf eines Arbeitszimmers für den
Regierungspräsidenten von Bayreuth auf der Weltausstellung in St.
Louis einen Grand Prix ein. Der Entwurf zog weitere Aufträge nach
sich, u. a. für Schloss Stein der Familie Faber-Castell und den
Nürnberger Bahnhof..
1907/08
begann seine zweite Karriere als Architekt. Im gleichen Jahr wurde er
Mitbegründer des Deutschen Werkbundes, eines Zusammenschlusses von
Architekten, Designern und Kunsthandwerkern, deren Anliegen die gute
Form war und ist. 1908 entwickelte er das erste Typenprogramm für
Möbel, und noch vor dem Ersten Weltkrieg erreichte ihn ein Auftrag
nach dem anderen für die Ausstattung von Ozeandampfern, erste
Bürohäuser und großbürgerliche Privatbauten. Seit 1924 Direktor
der Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst in
Berlin, wurde er durch den nationalsozialistischen Staat seiner Ämter
enthoben. Danach arbeitete er als freier Architekt und
Siedlungsplaner, seit 1951 in Düsseldorf. Er starb 1968 in Berlin.
Die
drei Soester Villen aus der Zeit der Weimarer Republik zählt man zu
den Schlüsselbauten für sein Schaffen. Nun zeigte er seine, dem
Bauhaus verwandte sachliche, klare Formensprache des „Neuen
Bauens“: die asketische Abwendung vom Jugendstil und den
historisierenden Formen im Gegensatz zur Heimatschutzarchitektur. Die
Villen entstanden als Gesamtkunstwerke: Er entwarf den Baukörper und
die komplette Innenausstattung und begründete damit seinen
internationalen Ruf.
Die
„Villa Plange“
Das
älteste dieser Soester Häuser ist also das der Familie Plange,
gelegen am Sigefridwall 20. Hanna Planges Ehemann Wilhelm gab es in
Auftrag, als Geschäftsführer der Mühlenwerke Georg Plange, die zu
den größten Arbeitgebern der Stadt zählten. Den Namen Plange gibt
es in Soest seit dem Mittelalter. Die Firma geht auf eine Wassermühle
im heutigen Ortsteil Hattrop zurück, die seit 1775 Roggen und Weizen
aus der Soester Börde vermahlte. Mitte des 19. Jahrhunderts erwirbt
die Familie eine Dampfmühle in der Stadt. Es geht rasant bergauf:
Man stabilisiert die Qualität des Mehls durch Übersee-Getreide,
gibt dem Produkt den Namen „Diamant-Mehl“ und füllt es bald
statt in großen Kolonialsäcken in Kilotüten für Hausfrauen ab.
Erfolgreiche
Innovationen: Ende des 19. Jahrhunderts gehört die „größte Mühle
des Kontinents“ am Hafen Hamburg-Wilhelmsburg zur Firma und seit
1907 ein Zweigwerk in Düsseldorf. Das ehemalige Betriebsgebäude am
Rhein, an der Weizenmühlenstraße 1, ist inzwischen durch die
Architekten Ingenhoven, Overdiek und Partner umgestaltet und so heute
ein bekanntes Zentrum des Medienhafens.
Mit
diesem wirtschaftlichen Hintergrund konnte Wilhelm Plange in den
Jahren unmittelbar nach der Wirtschaftskrise den Bau eines
repräsentativen Wohnhauses ins Auge fassen und den Berliner
Stararchitekten mit der Planung auch allen Interieurs beauftragen.
Bruno Paul entwarf das Haus, das Mobiliar, die Tapeten, das
Wohndesign bis hin zu den Fenstergriffen und der Haustür. Die Möbel
wurden über das Richmodishaus in Köln bezogen, einer Vertretung der
Deutschen Werkstätten Hellerau-München. Fünf Kinder wuchsen hier
auf.
Die
große Zeit der Villa Plange als Gesamtkunstwerk endete mit dem Aus
für das Soester Mühlenwerk fünfzig Jahre später. Die bewegliche
Einrichtung verließ Soest, nachdem das Haus in der Nähe der neu
gebauten Kreisverwaltung 1975 durch den Kreis Soest ohne Inventar
angekauft und als Archiv umgenutzt worden war. In dessen Schubkästen
lagerten danach zwar noch Zeichnungen und Fotografien von Stücken
der ehemaligen Ausstattung, jedoch vom Mobiliar war nichts mehr
vorhanden, nur noch vereinzelte nach Entwürfen Bruno Pauls
gefertigte Gegenstände.
Was
ursprünglich die Wohnkultur zerstörte, erwies sich nun als
Glücksfall. Kürzlich konnten einige Zeugnisse dieser Raumkunst aus
Bruno Pauls erster Villa im Stil des „Neuen Bauens“ dank der
Einigung mit dem Kreis Soest dort wieder Einzug halten, in ein nun
öffentlich zugängliches Gebäude, während entsprechende Stücke
der anderen beiden Villen als Privatbesitz verschlossen sind.
Die
Heimkehr der Möbel
Der
Kreis Soest stellte vertraglich das ehemalige Herrenzimmer für einen
Kernbestand der Möbel zur Verfügung. Wilhelm Plange, ehemals
Korvettenkapitän, hatte sein Reich mit Schiffsmodellen und Geweihen
ausgestattet, den Trophäen aus seiner Biographie und seinem Hobby,
der Jagd. Diese Dekoration ist inzwischen gewichen, nicht aber die
Originalvertäfelung des Raumes in Ostindisch-Palisander.
Aus
diesem Holz ist auch ein zurückgekehrtes ehemaliges
Herrenzimmer-Möbelstück gefertigt, eine mit Schmuckfurnier
versehene Kommode mit fünf Schubladen.
Ein
Club- und ein Wandtisch aus der Wohnhalle gehören ebenfalls dazu.
Dieses Ensemble wird durch eine Sitzgruppe aus der ehemaligen
Wohnhalle ergänzt, die noch den Originalstoff der zwanziger Jahre
trägt.
Ein
Sofa gehört dazu, ein passender Sessel in einem taubenblauen
Wolldamaststreifen sowie drei Hocker, denen der gleiche Stoff
aufliegt; dazu ein bunter Schalensessel in kräftigem großblumigen
Muster. Die aufwändigen Arbeiten führten mit großem persönlichem
Engagement die Textil-Restaurierungswerkstatt der Benediktinerinnen
in Köln und die Holzrestauratorin Annette Hobbelink (Dortmund) aus.
Die bisher eingesetzten Mittel stellten neben dem Soester
Geschichtsverein zum größten Teil die Nordrhein-Westfalen-Stiftung
Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege zur Verfügung sowie die
Kulturstiftung Hellweg e. V. und auch private Spender. Eine
Komplettfinanzierung ist noch nicht erreicht.
Schon
jetzt aber vertritt das Ensemble exemplarisch nicht nur die Raumkunst
Bruno Pauls an einem für sein Schaffen bedeutsamen Ort, sondern
würdigt modernes Architekturschaffen in einer Stadt und Region,
deren herausragende Architekturbeispiele im Allgemeinen fast
ausschließlich mit Romanik und Gotik in Verbindung gebracht werden.
Es erinnert zugleich an die im 19./20. Jahrhundert international
agierenden Soester Betriebe in Familienhand, die heute fast alle
nicht mehr am Ursprungsort existieren. Zugleich schwingt ein
allgemeiner historischer Aspekt mit: Villa und Möbel als Einheit
bezeugen das Lebensgefühl des Weimarer Großbürgertums und damit
das spannungsreiche Bild einer ganzen Epoche. Dass sich bei der
gegenwärtigen Aufstellung Herrenzimmer- und Wohnhallenausstattung
mischen, mag zugleich symbolisieren, dass sich inzwischen maskuline
und feminine Lebenswelt angenähert haben.
Der Verein für Geschichte und Heimatpflege Soest e. V. dankt der Nordrhein-Westfalen-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege und der Kulturstiftung Hellweg e. V., dem Kreis Soest als Partner sowie allen privaten Spendern und Helfern für ihre Unterstützung.
Alle Fotos: Thomas Drebusch
Literatur:
Thomas Drebusch: Die Soester Villen. In: Alfred Ziffer (Hg.): Bruno Paul. Deutsche Raumkunst und Architektur zwischen Jugendstil und Moderne. München 1992.
Jost Schäfer: Bruno Paul in Soest. Villen der 20er Jahre und ihre Ausstattung (Denkmalpflege und Forschung in Westfalen. Bd. 23). Bonn 1993.
Thomas Drebusch: Bruno Paul : Schönheit ist Freude. Soest 2019.